Geld ausgeben – oder langfristig anlegen

Steffen Henke hielt am 8. Juli 2013 beim 20. Gesundheitstreff Rostock im Mehrgenerationenhaus Lütten Klein vor rund 200 Menschen einen Vortrag zum “Fließenden Geld”. Der Journalist Frank Schlößer von das-ist-rostock.de sprach mit ihm.

Steffen Henke in Rostock

Steffen Henke am 08. Juli 2013 in Rostock. Foto: Frank Schlößer

das-ist-rostock.de: Fließendes Geld – was soll das sein?

Steffen Henke: Das ist Geld, das seinen naturgegebenen Zweck erfüllt: Es wird von einer Hand in die nächste gereicht, im Austausch gegen Waren und Dienstleistungen.

das-ist-rostock.de: Also unser Geld, der Euro.

Steffen Henke: Nein. Wer heute Geld übrig hat, der legt es bei der Bank an, um Zinsen zu bekommen. Der angelegte Betrag wird nun von der Bank an einen Darlehensnehmer ausgereicht. Dieser gibt das Geld im Markt aus und so findet es in den Wirtschaftskreislauf zurück. Allerdings funktioniert dieser Mechanismus, gerade auch durch den niedrigen Zins, nicht mehr richtig. Wie viel vom derzeitigen Zentralbankgeld derzeit aus dem Kreislauf genommen wurde, kann man nicht genau erkennen – aber der Anteil des gehorteten, unproduktiven Geldes ist enorm. Fließendes Geld hat dagegen einen Umlauf-Impuls. Es wird eine Nutzungsgebühr auf Bargeld eingerichtet. Wer es kurzfristig bei den Bank anlegt, zahlt bereits eine geringere Nutzungsgebühr. Bei mittel- bis langfristigen Anlagen fällt keine Gebühr an. Die Motivation, sein Geld zur Bank zu bringen, ist also nicht, leistungslos einen Zins zu erhalten, sondern die Nutzungsgebühr zu sparen. Eine Nutzungsgebühr in Höhe von ein bis zwei Prozent pro Quartal genügt, damit das Geld fließt. Anders als beim heutigen Zins-System wäre das ein Finanzsystem, das länger hält als 65 Jahre.

das-ist-rostock.de: Unendlich lange?

Steffen Henke: Ja. Die Guthaben und die Schulden einer Währung sind insgesamt immer gleich groß. Derzeit wachsen Guthaben und Schulden jedoch dank Zins und Zinseszins exponentiell – dieser Fehler ist mit Wirtschaftswachstum nicht mehr auszugleichen. Nun werden die Guthaben von den Zentralbanken mit frischem Zentralbankgeld angekauft. Das erhöht die Zentralbankgeldmenge. Dies führt zu Inflation und dadurch wird unser Geld immer weniger wert. Exponentielles Wachstum ist etwas Krankes: In der Natur kommt es beim Krebs vor. Tumore wachsen exponentiell – und in Bezug auf Finanzen mit Zins und Zinseszins ist der Josephspfennig ein anschauliches Beispiel. Fließendes Geld ist dagegen wertstabil, man braucht auch keine Inflation als Umlaufsicherung. Die Geldmenge kann gut gesteuert werden. Wenn man es richtig anpackt, hält das ewig.

das-ist-rostock.de: Bei Geld mit Nutzungsgebühr macht aber das Sparen echt keinen Spaß mehr.

Steffen Henke: Doch, es macht viel mehr Spaß im Vergleich zum jetzigen System. Sie können der Nutzungsgebühr leicht entgehen. Einmal, indem sie das Geld ausgeben. Oder, indem sie es bei der Bank langfristig anlegen. Für Geld auf einem Tagesgeldkonto würden sie eine kleine Nutzungsgebühr bezahlen, für eine Anlage bis zu zwei oder drei Jahren bliebe die Summe gleich, für eine Anlage über fünf bis zehn Jahren – zum Beispiel zur Altersvorsorge – könnten sie möglicherweise sogar einen kleinen Zins bekommen. Der Markt entscheidet, bei welchen Laufzeiten noch eine kleine Gebühr anfällt. Ziel ist es, dass dank der Nutzungsgebühr der mittelfristige Zins um null Prozent schwankt.

das-ist-rostock.de: Sag ich doch: Es macht keinen Spaß mehr.

Steffen Henke: Was sie derzeit an Zins bekommen, das wird von der Inflation wieder aufgefressen. Das ist beim fließenden Geld nicht so: 10 000 bleiben 10 000, sie sind wertstabil, weil es keine Inflation gibt. Und sie zahlen dann nicht mehr die Guthabenszinsen der sehr Vermögenden mit, denn die Guthabenszinsen der einen kommen aus den Schuldzinsen, die wir alle direkt oder indirekt bedienen: Wenn sie heute einkaufen gehen, dann zahlen sie die Schuldzinsen der Industrie – rund 40 Prozent jedes Preises, den sie beim Einkaufen bezahlen. Wenn sie Steuern zahlen, zahlen sie die Schuldzinsen des Staates. Nur zehn Prozent der Bevölkerung haben so viel Geld auf dem Konto, dass sie in diesem riesigen Umverteilungssystem gewinnen. Sie tun das, weil 90 Prozent der Bevölkerung immer mehr Schuldzinsen zahlen, als sie Guthabenszinsen generieren können. Geld kann nicht arbeiten, nur Menschen, Maschinen und die Natur können das.

das-ist-rostock.de: Dann kommen Sie also aus der ganz linken Ecke? Den Reichen nehmen und den Armen geben?

Steffen Henke: Ich habe Physik studiert, bin 1990 in die Finanzwirtschaft gewechselt und seit 23 Jahren selbständiger Finanzkaufmann und Finanzberater. Seit Mitte der 1990er-Jahre habe ich mich in die Zins-und-Zinseszins-Problematik eingearbeitet. Fließendes Geld bedeutet nicht, den “Reichen” etwas “wegzunehmen”, sondern dafür zu sorgen, dass große Vermögen nicht leistungslos immer weiter wachsen. Durch das Zinssystem entstehen extreme Kapitalkonzentrationen, das ist mehr als demokratiegefährdend. Der Zins zwingt die Wirtschaft, ständig zu wachsen, das geht in einer Welt mit begrenzten Ressourcen nur zeitlich begrenzt. Die Folgen sind extreme soziale Ungleichgewichte, Demokratieverlust, Umweltzerstörung. Das ist für niemanden wertvoll, weder für arm noch für reich.

Steffen Henke beim Vortrag in Rostock

Steffen Henke beim Vortrag in Rostock.
Foto: Frank Schlößer

das-ist-rostock.de: Wie können Sie denn innerhalb dieses Geldsystems, von den sie sagen, dass es notwendigerweise untergehen muss, Finanzberater sein?

Steffen Henke: Das ist eine sehr komplexe Frage. Es kommt immer auf die Situation meines Kunden an. Wegen meines gestörten Verhältnisses zum Zins haben meine Kunden keine klassischen Lebens- und Rentenversicherungen oder Rentenfonds. Denn diese verzinslichen Anleihen – Unternehmensanleihen, Staatsanleihen, Bankanleihen – sind genau die Produkte, die uns Bauchschmerzen bereiten. Diese Anleihen – und die Finanzprodukte, die darauf aufbauen – haben nur noch eine geringe Lebensdauer, sie werden in naher Zukunft von der Krise betroffen sein. Es hat sich noch nicht herumgesprochen, dass weniger Schulden auch weniger Guthaben bedeutet. Deshalb kann ich derartige Produkte meinen Kunden nicht empfehlen. Ich versuche also – so gut wie es geht – meine Kunden auf die Veränderungen, die im Geldsystem vor uns stehen, vorzubereiten, auch mental.

das-ist-rostock.de: Damit stehen Sie ziemlich allein da in ihrer Branche.

Steffen Henke: Ich stoße da an Grenzen. Das gebe ich zu. Es ist jedoch zutiefst ungerecht, wenn eine Frau, die sich durch jahrzehntelangen Konsumverzicht etwas auf die Seite gelegt hat, im Alter erleben muss, dass sie davon nichts mehr hat. Aber was ich vortrage, ist keine Ideologie, sondern simple Mathematik. Das derzeitige Geldsystem kann nur zeitlich begrenzt funktionieren. Spätestens, wenn das System in seine finale Phase geht, wird es ungemütlich, es bestehen hohe Risiken. In Spanien, Griechenland usw. ist die Krise spürbar angekommen. In diesen Ländern liegt die Jugendarbeitslosigkeit bereits über 50 Prozent. Wenn sich die extremen Ungleichgewichte unkontrolliert ausgleichen, ist Ärger angesagt. Diese Aussage soll jedoch keine Angst machen. Ich wünsche mir, dass wir uns ganz auf die alternativen Lösungsansätze konzentrieren. Wir alle können auf die bevorstehende Krise bestimmt verzichten, dennoch wird sie eine Chance sein, damit sich notwendige Veränderungen durchsetzen können.

das-ist-rostock.de: Gibt es Beispiele für fließendes Geld?

Steffen Henke: Die ersten Beispiele für fließendes Geld finden sich schon im Mittelalter mit dem Brakteatengeld: Das waren dünne, wertlose Dünnblechmünzen, die von Zeit zu Zeit „verrufen“, für ungültig erklärt, wurden. Die Münzen wurden eingesammelt, eingeschmolzen und mit neuer, gültiger Prägung neu ausgegeben. Der Fürst hielt einen Teil davon als Steuer ein. Wenn sie heute vor einem historischen Bau aus dem Mittelalter stehen und sich fragen, woher die Kraft kam, mit der Technologie des zwölften Jahrhunderts einen solchen Bau zu beginnen, dann heißt die Antwort: fließendes Geld.

das-ist-rostock.de: Dann ist Idee vom fließenden Geld aber schon früh eingeschlafen.

Steffen Henke: Nein, die erste theoretische Abhandlung darüber stammt aus dem Jahre 1916: Damals schrieb der Sozialreformer Silvio Gesell seine Abhandlung über „Die natürliche Wirtschaftsordnung“. Aber im 20. Jahrhundert gab es immer wieder Experimente dazu, wie die „Arbeitswertscheine“ im österreichischen Wörgl, das durch die Initiative seines Bürgermeisters Michael Unterguggenberger mitten in der Weltwirtschaftskrise von 1929 eine wirtschaftliche Blüte erlebte. Oder die „Wära-Scheine“ von Schwanenkirchen aus dem Jahre 1926. Beide Experimente wurden beendet, weil sie zu erfolgreich waren. Heute gibt es über 30 Initiativen, die in Deutschland eigene regionale Währungen ausgeben – und dieses Geld funktioniert bei fast allen Initiativen mit einer konstruktiven Umlaufsicherung – wie beim Brakteatengeld.

das-ist-rostock.de: Wenn das fließende Geld so gut funktioniert, dann bleibt die Frage: Wie kommen wir dahin? Brauchen wir dazu einen Währungszusammenbruch?

Steffen Henke: Ich hoffe nicht, denn dieser Zusammenbruch wäre sehr schmerzhaft, die Erschütterungen wären enorm. Die erste wichtige Voraussetzung ist, dass sich viele Menschen mit diesen Inhalten auseinandersetzen und für fließendes Geld stimmen. Dann wäre eine notwendige Bedingung für den Wandel erfüllt. Es im fachlichen Bereich umzusetzen, wäre einfach: Der Paragraf 14 im Bankengesetz regelt derzeit, was gesetzliches Zahlungsmittel ist. Dort müsste man zusätzliche Einträge vornehmen. Ansonsten sind die Konzepte, wie so eine Einführung des fließenden Geldes vorzunehmen wäre, komplett fertig, daran haben Wissenschaftler jahrelang gearbeitet. Wenn der Zusammenbruch doch kommen sollte, dann könnten uns diese Konzepte durchaus dabei helfen, die Krise als Chance zu begreifen und notwendige Veränderungen zuzulassen. Der Anfang wäre sicher schwer, aber fließendes Geld setzt auch – wie wir an den historischen Beispielen gesehen haben – eine enorme Produktivität frei. Man kann fließendes Geld auch in einer Region, parallel zum Euro, sofort einführen, zum Beispiel in Griechenland, um dem gleichmäßigen Austausch von Waren- und Dienstleistungen auf die Beine zu helfen.

das-ist-rostock.de: Was kann ich tun um mich vorzubereiten – auf den Wandel oder die Krise?

Steffen Henke: Sie können sich mental darauf vorbereiten, dass die Welt gegebenenfalls mal anders funktionieren wird als jetzt. Sie können anfangen, sich in sozialen Netzwerken zu integrieren, denn die neuen regionalen Währungen und Tauschringe gelingen vor allem solidarisch. Das ist auch eine Wirkung des fließenden Geldes – es bringt die Menschen zueinander. Schauen Sie, ob es in Ihrer Stadt eine Transition Town- oder eine Initiative für Gemeinwohlökonomie gibt, das sind sehr wertvolle Ansätze. Man kann sich weiterbilden – zum Beispiel mit Büchern von Helmut Creutz oder mit der Zeitschrift „Humane Wirtschaft“. Man kann sich auf unserer Website für den Newsletter anmelden, uns auf Facebook „liken“ und sich unseren Song „fließendes Geld“ anhören. Man kann eine regionale Währung gründen oder einen Stammtisch für Fließendes Geld – so wie es in vielen Städten derzeit passiert. Wir brauchen eben doch exponentielles Wachstum – allerdings im Erkenntnisprozess rund um fließendes Geld. Deshalb freue ich mich über jede Freundin und jeden Freund des fließenden Geldes, der dazu beiträgt, dass sich der Gedanke des fließenden Geldes so schnell wie möglich herumspricht.

das-ist-rostock.de: Steffen Henke, danke für das Gespräch.

Das Interview für die Internetzeitung das-ist-rostock.de führte Frank Schlößer.

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