Wandlitz zweipunktnull

Was im 23. November 1989 im DDR-Fernsehen ausgestrahlt wurde, war lange Zeit undenkbar.

Jan Carpentier von “Elf99″ stand mit einem Kamerateam vor der streng bewachten Waldsiedlung in Wandlitz und bat um Einlass. Das Fernsehteam musste nur einen Tag warten, bis sich die Tore der geheimnisumwitterten SED-Politbüro-Siedlung öffneten.
Abgesehen von Bananen und Ananas in der Wandlitzer Verkaufsstelle, West-Armaturen und Miele-Haushaltgeräten konnte in den grauen Häusern kein nennenswerter Luxus entdeckt werden. Jeder selbständige Handwerksmeister in der DDR konnte auf einem ähnlichen Niveau leben.

In Limburg baut sich nun eine katholischer Bischof seinen Palast. Die Baukosten laufen aus dem Ruder und das Medienecho ist groß. Das Geschrei auch. Dabei werden doch Luxus, Extravaganz und grenzenloser Reichtum in unserer Gesellschaft voll und ganz akzeptiert.

Diözesanes Zentrum St. Nikolaus 2013, © Cirdan - Wikipedia, Lizenz CC-BY-SA

Diözesanes Zentrum St. Nikolaus 2013
© Cirdan – Wikipedia, Lizenz CC-BY-SA

Diese Mahnmale des Größenwahns finden wir überall.

Völlig diskret baut die Erzdiözese München und Freising in München zwischen Dom und St. Michael ein neues Ordinariat für voraussichtlich 130 Mio. Euro. Dagegen ist der Palast von Bischof Tebartz-van Elst das Diözesanes Zentrum St. Nikolaus in Limburg nur eine bescheidene Hütte. [1]

In Brüssel laufen die Kosten für das neue Gebäude des EU-Rates aus dem Ruder. Ursprünglich war der Bau mit 240 Mio. Euro geplant. Anfang 2013 standen die Kosten bereits bei über 300 Mio. Euro. Der Haushaltsausschuss des EU-Parlaments verweigerte wegen diesen Baukostenüberschreitungen dem EU-Rat die Entlastung für das Haushaltsjahr 2011. [2]

Der neue Hauptsitz der EZB in Frankfurt a.M. wird rund 1,15 Mrd. Euro kosten. Ursprünglich war der Bau mit 850 Mio. Euro geplant. [3]

Nach Hamburger Elbphilharmonie, Stuttgart 21 und dem Berliner Großflughafen BER werden auch beim Wiederaufbau Stadtschlosses der Hohenzollern auf der Berliner Museumsinsel Mehrkosten erwartet. 2011 erhöhte der Bund die Kostenobergrenze von 552 auf 590 Mio. Euro. Für die Kuppel des Schlosses ist in den Baukosten nur der Rohbau einkalkuliert. [4]

“Luxus, Protz und kranke Bauwut gibt es ja bei weitem nicht nur in Limburg. Vielmehr quellen diese Sakramente tagtäglich aus all jenen Medienkanälen, die sich jetzt der Hetzjagd an das waidgeschossene Kirchentier anschließen. Als wäre Reichtum nicht das Ziel jedes Arbeitslebens? Als wären Millionengehälter von Fußballspielern (Fußballspieler!!) nicht gesellschaftlich akzeptiert und sogar hochgeachte…” [5]

Bundesliga Spieler-Personalkosten 1989 bis 2012

Fussball Bundesliga
Spieler-Personalkosten 1989-2012,
© K. Reddmann

Beim Fussball ist sowieso alles ganz anders. Deutschland, heilig Fussball-Land. Die Heimspielstätte des FC Bayern München hat schlappe 340 Mio. Euro gekostet. Die Stadt München widmete das Grundstück freundlicher Weise vom Gewerbegebiet zur Sondernutzungsfläche um und wertete damit das Grundstück um 70 Mio. Euro ab. Durch den niedrigeren Grundstückswert sanken auch die Einnahmemöglichkeiten der Stadt München über den Erbbauzins. Der Erbbauzins liegt in München üblicher Weise bei ca. 3 %. Doch die Stadt München verpachtete das eigens abgewertete Grundstück an die Allianz Arena München Stadion GmbH für 520.500 Euro pro Jahr. Dies entspricht einem jährlichen Erbbauzins von nur ca. 0,6 % des ursprünglichen Bodenwertes. Weitere 300 Mio. Euro zahlten die deutschen Steuerzahler für zahlreiche Verkehrsbauwerke rund um das Stadium. [6][7]

Allianz Arena München, © Richard Bartz - Wikipedia, Lizenz CC-BY-SA

Allianz Arena München
© Richard Bartz – Wikipedia, Lizenz CC-BY-SA

Jetzt regen Sie sich aber hier mal nicht auf. Sie haben sich doch längst daran gewöhnt. Durch die immer gewaltigeren Anhäufungen von Kapitalvermögen werden insbesondere öffentliche Bauprojekte immer voluminöser. Das Geld muss doch irgendwo hin.

“Das Limburger Theater an der Verrücktheit eines Einzelnen oder am Katholizismus festzumachen bedeutet doch nur, die sich ausdünnende Glaubensgemeinschaft in den Mittelpunkt zu rücken und damit die neu gewachsene globale Plutokratie um Himmels Willen nicht anfassen zu müssen. Da bleibt nur zu beten, dass der neue Papst dem trägen Denken auf neue Sprünge hilft. Nicht nur in der Kirche.” [5]

Quellen:
[1] Süddeutsche: Verwaltungsgebäude kostet 130 Millionen Euro
[2] Deutsche Wirtschafts-Nachrichten: Kosten-Explosion: 350 Millionen Euro für EU-Palast in Brüssel
[3] Frankfurter Allgemeine: Die Heizung läuft schon
[4] Tagesspiegel: Grünes Licht für Berliner Schloss
[5] Telepolis Limburg: Das “Wandlitz” der Kirche, Autor: Norbert Rost
[6] Beschwerde gemäß Art. 87 ff EG, wegen wettbewerbswidriger Beihilfen zugunsten der Allianz Arena München Stadion GmbH, Deutschland
[7] Wikipedia Allianz Arena

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